Freitag, 11. März 2016

Traumgesicht

Danach wollte er wieder mit den alten Vögeln abhängen. Motiviert waren seine Schritte. Zur Musik aus dem Kopfhörer wippte sein Kopf. An dem Abend war Internet und Web und Technik angesagt. Es hieß Web Abend. Das hörte sich zwar beruflich an, sollte es auch sein, war es aber in aller Regel nicht so richtig. Vor allem war es umsonst und es gab nach einer Stunde sogar etwas zum Essen. Immerhin traf man sich ja bei einer Steuerberatung, die etwas für das Image tun wollte. Das passte zu dem Stück mit dem gezinkten Karten, das aus dem Kopfhörer kam. Frank musste grinsen. Ja! Den guten Leuten ging es schlecht. Wie immer! Am Ende des Stücks trafen sich der Sänger mit seinen 100 Enkeln im Garten. Frank blieb kurz stehen und musste lachen. Das war doch gar nicht konsistent. Da wurde einer besungen, der in der weiten Welt ein Vermögen machte, zurückkam, eine schöne Frau heiratete und dann mit den Enkeln im Garten saß und mit seinen alten Vögeln feierte. Der müsste ja hundert werden, fiel ihm auf. Bei dem Gedanken beglückwünschte sich Frank. Ein wahrer Softwerker findet sogar Fehler in Hip-Hop Texten. Gut gelaunt setzte er seinen Weg fort.
Stefan gab ihm am Eingang wieder seine warme Hand. "Hallo, schön Dich zu sehen!" hörte er und es klang nicht aufgesetzt oder gelogen! Das zeichnete den gekonnt netzwerkenden Stefan aus. Frank dagegen nickte nur. So richtig Smalltalk machen, war noch nie sein Ding. Er notierte wie jedes mal auf einen Haftzettel seinen Schwerpunkt und klebte sich diesen an die Jacke. Das machten alle, damit man sich gegenseitig direkt ansprechen konnte. Jedenfalls war das die Idee, das man sich ansprechen sollte, auch wenn man sich nicht kannte. Sie schien manchmal zu funktionieren. Frank wurde noch nie angesprochen, obwohl er immer ganz deutlich und lesbar seinen aktuellen Schwerpunkt beschrieb. An jenem Abend hatte er 'node.js' geschrieben.

Das Treffen war diesmal in der Kantine einer Steuerberatungsgesellschaft. Die Stuhlreihen waren schon locker gefüllt, als Frank eintraf. Am Eingang hielt er kurz inne, da ihm die zwei rothaarigen Mädchen auffielen. Zuerst sah er die eine rechts vorne, aber dann noch die zweite links hinten. So richtig weibliche Wesen hatten sich auf eine technische Veranstaltung verirrt. Er hielt inne und wollte in Ruhe abwägen, welche wohl interessanter wäre. Dann drückten ihn schon die anderen Teilnehmer und er setzte sich in die Mitte der Diagonalen, so dass er von den beiden gleich weit entfernt war. Die eine saß drei Reihen vor ihm und vier Stühle rechts neben ihm, die andere drei Stühle links und etwa vier Reihen hinter ihm. Wie gut er das doch ohne groß zu überlegen getroffen hatte! Chris setzte sich neben ihm und fing ein Gespräch über Geschäftsgründungen an. Und dann kamen auch schon die anderen Vögel, mit denen der Abend normalerweise ausklang.

Der erste Vortrag war einfach nur langweilig. Frank überlegte, wie er eines der Mädchen ansprechen sollte. Sie hatten rote Haare! Er sollte in der Pause aktiv werden, nur das Drehbuch war ihm noch unklar.
Der zweite Vortrag war interessant. Es ging um Anwendungen in der Wolke. Zunächst fiel ihm gar nicht auf, wer da vorne sprach. Die Folien waren einfach zu interessant. Die Stimme sprach hell und deutlich. Es war kein grummeliges Gebrabbel wie sonst. Als die vortragende Person wieder auf ihren Platz zurück ging, staunte Frank. Er staunte nicht über den praktischen Jogginganzug, der von der gleichen Marke war, die er auch trug. Es war die deutliche Ober- und Unterweite, die sich darin befand. Dazwischen hatte sie eine leicht angedeutete Taille und darüber das runde Gesicht einer Frau. Es war nicht eine helle Männerstimme, sondern eine tiefe Frauenstimme die einen technisch interessanten Vortrag gehalten hatte.
Den dritten Vortrag nutzte ein Schreiner zur Promotion seines Geschäfts. Offensichtlich gab es wohl Internetfirmen, die nachhaltige Büromöbel brauchten.

In der anschließenden Pause lief er langsam hinter seinen Kumpels zum Buffet. In einer Gruppe war schlecht flirten. Sein Drehbuch sah vor, mit einem Tablett in der Hand sich zu dem Tisch mit einem der rothaarigen Mädchen zu setzen, der die meisten freien Stühle hatte. Frauen, die hier auftauchten, suchten immer einen Ingenieur, der sich in der Technik auskannte und ihnen erklärte.
Das Essen war an dem Abend wirklich eine Sensation! Es gab tatsächlich diese leckeren, kleinen Fleischbällchen. Er griff zur Schaufel. Zu ihm gesellte sich jemand und er reichte die Schaufel weiter. Sie wurde von einer Hand gegriffen, die sich auch im Ärmel eines Jogginganzug befand. Es war diese Frau. Er hörte ihr "Hallo" und blickte dann in ihre braunen Augen. Da konnte er ja nur zurück lächeln. Er ging dann zu dem Tisch, an dem sich ein rothaariges Mädchen mit vielen freien Stühlen befand. Chris beackerte sie schon, aber er hatte sich ja vorgenommen sein Drehbuch durchzuziehen. Er setzte sich neben dem Mädchen und wurde von gegenüber gefragt: "Du kennst Dich mit node.js aus?" Diese Frau war ihm gefolgt! Er zog die Augenbrauen nach oben. Wusste sie überhaupt was das war? Er nickte grimmig. Sie setzte mit: "Toll, ich dachte schon, ich wäre ganz alleine hier." fort. Die beiden unterhielten sich anschließend über die Vorteile einer gemeinsamen Programmierumgebung von Server und Client. Er war begeistert. Sie hörte zu, fragte sinnvoll und konnte ihrerseits auch interessantes erzählen. Wenn sie sprach, schaute er in ihr rundes Gesicht, das ihm immer vertrauter erschien. Ihm wurde warm und auch an ihr sah er Schweißtröpfchen. Die beiden zogen die Reißverschlüsse ihrer Jacken ein wenig auf. Sie roch! Aber sie stank nicht, wie seine Kumpels stinken würden. Ihr Geruch hatte etwas seltsam anziehendes. Zu den Pitches wären sie fasst zu spät gekommen.fingen an.

Hier hatten Leute mit Ideen die Möglichkeit diese in maximal fünf Minuten vorzustellen. Normalerweise war das immer recht lustig. Wer konnte denn schon eine Idee vorschlagen, die die Kenner des Internets nicht schon diskutiert hätten? Das Lästern stärkte seine gefühlte Rolle in der Meute und manchmal beeindruckte es auch ein Mädchen, wenn er denn eines im Arm hatte. Diesmal hatte er Delma im Arm. Sie legte ihre linke Hand an der Innenseite seines Oberschenkels. Das machten Mädchen normalerweise nicht. Er war irgendwie am Ziel. Sie kommentierte die Pitches aufmerksam und kritisch. Zu einem sagte sie: "So etwas ähnliches könnten wir doch zusammen aufziehen, oder?". Sie schaute ihn mit blitzenden Augen an und er nickte zustimmend.

In der Nacht rechnete er die Chancen auf eine HIV-Infektion aus. Immerhin hatten sie ja ohne Kondom gevögelt. Sie schlief neben ihm. Ihr Körper fühlte sich weich und wohlig an. Wie waren eigentlich die Chancen für ihr gemeinsames Startup?
Seine Chancen in ferner Zukunft mit den alten Vögeln die 100 Enkel zu feiern waren in jedem Fall gestiegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen