Freitag, 24. Juni 2016

Klassen

Mürrisch machte er sich auf den Weg zur Baustelle. In den neuen Arbeitshosen und den neuen Schutzschuhen ging er. Die Schuhe gefielen ihm. Wie leicht sie doch waren. Trotzdem waren die Zehen vorne geschützt. Jedenfalls prüfte er das mit der Hacke seines rechten Fußes, die er auf die Spitze des linken Schuhes drückte. Nichts! Unterwegs trat er gegen ein paar Straßenlampen, aber auch da war nichts. Sie waren einfach leicht, die neuen Arbeitsschuhe! Nach etwa der dritten Lampe besserte sich seine Stimmung. Vielleicht war es ja doch gut, wenn sich einer um die Arbeitskleidung und das alles kümmerte. In seinem Alter konnte er doch froh sein, etwas gefunden zu haben. Die schöne neue Arbeitshose würdigte er nicht. Diese war in Khaki gehalten, mit schwarzen Taschen an den Beinen. Ein ganzer Werkzeugkasten hatte darin Platz, aber das beachtete er gar nicht. Er fragte sich was das wohl für Jungs waren, mit denen er arbeiten würde. Es würde ihn wieder jünger machen unter jungen Männern zu sein! Da war er sicher.
Auf dem Weg zum Eingang des Bürogebäudes kam ihm ein junger Mann entgegen. Dieser war auf einem Klapproller unterwegs. Beim Pförtner hielt er an, bückte sich, klappte den Roller zusammen. Alles geschah in einer fließenden, fasst tänzerischen Bewegung. Als er das beobachtete, konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken.

Freitag, 17. Juni 2016

Der Schatz

Die Schüler waren schon alle weg.
Der junge Mann mit den strohblonden Haaren hätte sich den Weg zum Bahnhof auch einfach schenken können. Um zehn nach acht stieg hier normalerweise keiner seiner Kunden mehr aus. Eher aus Gewohnheit wartete er noch die nächste Bahn ab. Der Waggon war spärlich besetzt. Trotzdem öffnete sich eine Tür und, ehe er sich versah, drückte ihm eine Gestalt eine Tasche in die Hand. "Prima, dass Du schon da bist. Bis nächste Woche dann." sagte sie, bevor sie wieder einstieg. Niemand sonst stieg aus.
Er stand alleine auf dem Bahnsteig mit einer blauen Strandtasche. Eine knallig gelbe Sonne mit dicken, ebenso gelben Sonnenstrahlen war auf jeder Seite. Etwas von einer Solarmesse stand darauf, aber das beachtete er gar nicht. Ein Paket war in dieser Tasche. Neugierig betrachtete er es. Kurz zuckte er mit den Schultern, dann ging er unschlüssig zum Ende des Bahnsteigs zur Rolltreppe. Bei dem Fahrstuhl blieb er kurz stehen. Er dachte angestrengt nach. Die Tasche war nicht für ihn. Der Eigentümer würde diese demnächst suchen. Noch einmal schaute er in die Tasche hinein. Es war nur ein Paket drinnen. Schnell schaute er sich um, dann nahm er das Paket unter dem Arm und stopfte die leere Tasche in den Papierkorb. Kaum hatte er den Bahnsteig verlassen, trat ein junger Mann mit ähnlichen blonden Haaren aus dem Fahrstuhl.

Freitag, 10. Juni 2016

Vögeln

Die haben gerade gevögelt! Das Mädchen musste lächeln, als sie sich gewahr wurde, dass die beiden vor ihren Füßen gevögelt haben Sie streckte ihm einfach das Hinterteil hin, er sprang auf, wackelte ein paar Mal, dann sprang er hinunter und wartete. Sie war mit dem gebotenen wohl nicht einverstanden und flog weg. Schade! dachte das Mädchen. Da hat der Meiserich so schön gesungen. Als die Meise landete, kam er von seinem Busch herunter und hatte sich von seinen besten Seiten gezeigt. Mehrfach flatterte er auf seine Auserwählte zu. Bis sie ihn schließlich einfach ließ. Er schaute ihr nach und flog wieder zu seinem Busch. Sein Gesang rief wieder nach einer willigen Frau für sein Nest. Das war das Programm der Natur für Meisen und andere Singvögel! Das Mädchen fragte sich nach dem natürlichen Programm für sie selbst. Warum konnte sie nicht einfach mit einem von den Jungs auf der Feier? Es standen doch genug zur Auswahl, aber nein, sie musste einen auf Jungfrau machen und vorzeitig nach Hause. Zu früh durfte sie da nicht auftauchen, immerhin war ja eine wilde Party bei Marina mit jungen Männern verabredet. Sie sollte auf keinen Fall die Kondome vergessen, hatte ihre Mutter sie ermahnt. Frühestens um acht konnte sie heimkehren. Sie schüttelte ihren Kopf. Was war sie nur für eine verrückte Nudel!
Da hörte sie ein Schleifen und ein leises Fluchen von rechts.

Freitag, 3. Juni 2016

Nichts

"Also ich nehme den gefüllten Oktopus" sagte Frau Niederle entschieden. "'En su tinta' nennen die den. Das war eine gute Idee hierhin zu gehen."
"Danke, danke. Aber die Auswahl ist hier ja auch nicht besonders schwer gefallen, wenn wir nicht gerade Pizza essen wollen. Aber Pizza?" Dr. Schatz war in seinem mondänen Element.
"Einen sardischen Vorspeisenteller haben die wohl hier auch. Und danach Dolci. Und als Wein nehmen wir Frascati. Und Aperitif?"
Sie nickte nur dazu. Er bestellte die gewählten Speisen in fließendem Italienisch, was vom Kellner ohne Rückfrage verstanden wurde.
Nach dem Aperitif und in der Mitte der Vorspeise sah sie die drei Mädchen. Sind die wohl ausgerissen? fuhr ihr durch den Kopf. Sie beschloss sich dem Essen zu widmen.
"Sind die toll, diese gegrillten Auberginenscheiben. Und die Sauce dazu. Sie verstehen wirklich zu dinieren." lobte sie ihr Gegenüber.
Dieser fiel auf die Ablenkung nicht hinein. Er drehte sich um und war sofort wieder Lehrer:
"Mist, die drei sind doch von unseren Schülern."
"Wir sehen die einfach nicht! Es ist unser freier Abend und Heberle passt doch auf. Bestimmt hat er ihnen das erlaubt. Und wenn nicht? In dem Alter müssen die doch einfach hinaus gehen. Haben wir doch früher auch gemacht, oder etwa nicht?"
"Sie meinen ..." Er schaute versonnen. Sie sah, wie sein sonst so ernstes Gesicht tatsächlich einen schelmischen, geradezu jugendlichen Ausdruck annahm.
"Ja, das waren Zeiten" sagte er.