Freitag, 26. Februar 2016

Amerittini

Sie sollte unbedingt zum Frisör! Das Gesicht im Spiegel war ihr zwar bekannt, aber zeigte nicht die Frau, die sie sein wollte. Irgendetwas sollte geändert werden. Langsam öffnete sie ihren Pferdeschwanz, schüttelte den Kopf und musterte sich erneut. Ihre glatten Haare fielen einfach nicht richtig. Für eine richtig, weibliche Umrahmung waren sie auch einfach zu dünn. Geföhnt würde es ja gehen, aber das kostete wieder und dauerte vor allem. Sie müssten aus dem Gesicht nach hinten, aber nicht so streng zusammengebunden, wie mit diesem blöden Pferdeschwanz. Damit wirkte sie wie ein Mannweib. Wenn sie die beiden Strähnen links und rechts nach hinten nähme? Mit ihrer rechten Hand hielt sie die Strähnen hinter ihrem Schopf zusammen. Sie wandte sich nach rechts und kontrollierte ihr Profil mit dem linken Auge. Ihr Kopf wiegte sich. Das war schlicht, aber kein richtiger Hingucker. Schnell flocht sie sich zwei Zöpfe aus den Strähnen und hielt dann diese zusammen. Diesmal nickte ihr Kopf. Das hatte etwas bestimmendes, aber auch ordentlich weibliches, obwohl die Zöpfe zu streng verliefen. Ein wenig hielt sie die Zöpfe lockerer, so dass sie sich nicht direkt am Hinterkopf, sondern ein wenig darunter trafen. Sie lächelte und dann hoben sich ihre Augenbrauen. Sie nahm die beiden Zöpfe zusammen über den Kopf nach vorne. Dann öffnete sie diese und verflochtete sie zu einem Zopf. Sie konnte diesen wieder nach hinten nehmen. Ihre Haare waren aus dem Gesicht und hatten mit dem gemeinsamen Zopf hinten einen Hingucker. Auch ohne Partner hatte sie das hinbekommen. Noch einmal schaute sie in den Spiegel und sah sich als Bogenschützin in diesem Tribute Film. Die, die die Männer erlegte. Bei dem Gedanken grinste sie. Sie würde einen Mann ja nicht erschießen, sondern eher nur so ein wenig demütigen.

Freitag, 19. Februar 2016

Der Schwur

"Stecken Sie das Handy ein, keine Fotos hier!" Igor konnte das angekündigte Selfie mit ihm vor dem Gericht nicht machen. Enttäuscht stopfte er es in seine Tasche. Der Vorsitzende schüttelte den Kopf. Igor schaute an die Decke. Was sollte er eigentlich hier? Die beiden Schläger haben doch gestanden und es gab ja sogar ein Video. Ein Foto kurz posten, das wäre schon was gewesen.
"Können wir dann?" fragte er laut in die Stille.
"Sie reden, wenn Sie gefragt werden. Respektloses Benehmen kann eine Geldstrafe nach sich ziehen. Und das meine ich Ernst!" ermahnte ihn der Vorsitzende. Igor schluckte und schaute grimmig. Aber er hielt sich zurück.
Der Saal wartete geduldig noch ein paar Minuten, bis sich die Tür öffnete und eine Frau in einem Rollstuhl hinein geschoben wurde.
"Sie sind die Frau Vladic?"
Die Frau nickte und der Gerichtstag konnte anfangen. Der Vorsitzende erklärte den Zeugen, was sie vor Gericht erwartete. Igor versuchte der langweiligen Stimme zu folgen, dann konzentrierte er sich auf die Haltung des Vorsitzenden. Er wollte nicht gähnen, sondern Respekt zeigen. Immerhin war ja Strafe angedroht. Außerdem hatte er schon genug Filme mit Gerichtsverhandlungen gesehen. Als das Thema auf das Schwören kam, wunderte er sich. Im Film wurde immer am Anfang geschworen. Es war hier anders. Er schluckte und versuchte zu verstehen, was der Vorsitzende meinte. Es war etwas mit nicht verfälschen oder verschweigen.

Freitag, 12. Februar 2016

Ali

Sollte er die Ecken seines Barts nach oben zwirbeln oder doch lieber so stumpf lassen? Er probierte es mit der rechten Ecke einmal aus und schaute sein Spiegelbild in der U-Bahntür an. Nein! Schnell wischte er den Bart wieder stumpf. Wenn er nun noch die Brauen düster zusammenzog, hätte er genau den wilden und brutalen ersten Eindruck, den er machen wollte. In den nächsten Monate sollte er den Wadenbeisser machen und die Beteiligung seines Onkels sicherstellen. Zwei Schnecken wären auch dabei. Die jüngere wäre noch zu pflücken. Er grinste, als er sich bei diesem Gedanken den Sack jucken musste. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben und die Furche zwischen den Augenbrauen verschwand. Nein! Das war nicht der Eindruck, den er machen wollte. Er kniff die Lippen zusammen und stopfte seine Hände in die Sackotaschen. So war sein Gesicht wieder brutal ernst und als die U-Bahn hielt, stieg betont langsam ein zu fürchtender Schläger aus.

Freitag, 5. Februar 2016

Das Gegenstück

Sein Gegenstück begegnete ihm an einem Montagmorgen. Als er auf den Bahnsteig lief, schlossen sich die Türen der U-Bahn. Er wusste, dass der Fahrer nichts mehr machen konnte. Die Bahn war weg. Enttäuscht sah er sich um und stellte fest, dass er ganz alleine auf dem Bahnsteig war. Nun galt es fünf Minuten zu warten. Ein wenig lief er den Bahnsteig hinauf und hinunter. Vor der verspiegelten Tür des Aufzugs fand er sich wieder. So richtig genau konnte er sich darin zwar nicht sehen. Aber zum einen schaute er sich immer gerne an und die kleine Locke über dem rechten Ohr, die so richtig keck abstehen sollte, wollte einfach kontrolliert werden. Soweit er erkennen konnte, war alles in Ordnung. Er grinste sein Spiegelbild an, als sich die Tür öffnete. Eine junge Frau mit langen, blonden Haaren war in der Kabine. Ihre Augen hätten sich treffen können, aber er machte schnell einen Schritt zurück, drehte sich zur Seite und schaute, ob die Bahn nicht schon kam. Gerne hätte er die Frau genauer angeschaut, aber Frauen waren für einen Mann, wie er einer sein wollte, eben keine Objekte zum betrachten und zum bewerten. So machte er noch einen kleinen Schritt zur Seite in Richtung Bahngleis. Er bemerkte, dass sie ihn betrachtete. Das Gefühl von einer vielleicht sogar recht attraktiven Frau seines Alters gemustert zu werden, gefiel ihm. Bestimmt war es der hübsche Schal mit den großen Maschen, der ihre Aufmerksamkeit fand. Wie lange hatte er dafür gebraucht, einen solchen zu finden, der einen ähnlichen Braunton hat, wie seine Sneaker und seine Umhängetasche. Erst am Samstagnachmittag war es soweit. Er lächelte bei dem Gedanken. Aus irgendeinem Grund musste er seinen Kopf bewegt haben. Jedenfalls trafen sich ihre Augen. Sie erwiderte sein Lächeln. Ihre Augen hatten eine interessante grau-blaue Farbe.