Freitag, 13. März 2015

Blaumann

Die Sonne war schon lange aufgegangen als sie interessiert das Gesicht neben sich betrachtete. Über Nacht hatte er graue Stoppeln bekommen. Sie zog die Augenbrauen zusammen und schlüpfte leise aus dem Bett. Mit Handtasche und ihrem Slip ging sie ins Badezimmer. Nach einem kurzen Aufenthalt auf der Toilette betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht bevor sich der Mund öffnete und den Blick auf ihre Schneidezähne freigab. "Miau!", sie machte eine Katze. Aus ihrer Handtasche holte sie das Etui mit den Kontaktlinsen. In das rechte, freie Fach legte sie die Kontaktlinsen mit den Katzenaugen. Dann duschte sie ausgiebig bevor sie wieder ihr Gesicht im Spiegel betrachtet. Zuerst probierte sie die grünen Linsen. Sie atmete aus und betrachtete sich nachdenklich im Spiegel. Kopfschüttelnd tauschte sie gegen die blauen. Wieder atmete sie aus, aber diesmal stimmte es. Sie nickte sich zu und verstaute das Etui in ihrer Handtasche. Zurück im Zimmer zog sie sich geschwind an, warf einen kurzen Blick auf den immer noch schlafenden Mann und wollte hinaus. Auf dem Tisch bemerkte sie einen 50€ Schein. Sie nahm ihn hoch, schaute ihn an, schaute zu dem Mann und steckte ihn ein, bevor sie durch die Tür verschwand.
Im Erdgeschoss des Hotels überlegte sie kurz, ob sie dort frühstücken sollte. Nach einem Blick auf die Uhr machte sie sich zügig auf zum Marktplatz. In das alte Kaffeehaus am Platz führte ihr Weg. Obwohl noch einige Tische im Erdgeschoss frei waren, lief sie direkt zur Treppe in das Obergeschoss. Lächelnd lief sie zu den freien Tischchen in der Nische mit der Aussicht zum Marktplatz. Am linken nahm sie Platz. Sie bestellte ein kontinentales Frühstück mit Spiegelei und Speck. Während sie auf das Frühstück wartete, schaute sie sich kurz in den Wandspiegeln an. Ihr Blick blieb bei den an der Seiten hängenden Zeitungsstöcken hängen. Aber dann ging ihr Blick aus dem Fenster. Sie konnte auf dem Marktplatz einige Kirchgänger bewundern. Zu ihrer Überraschung gingen auch pubertierende Jugendliche anscheinend ganz ohne elterliche oder großelterliche Begleitung zur Messe. Haben sich die Katholiken geändert? Ob sie vielleicht auch wieder hingehen sollte? Merkwürdige Gedanken zum Sonntag. Zum Glück kam das Frühstück und sie konnte mit dem Spiegelei beginnen. Nach der orgiastischen Nacht freute sie sich darauf. Zügig trennte sie das Eigelb hinaus und schob es sich auf ein abgebrochenes Stück vom Brötchen. Mit geschlossenen Augen kaute sie auf dem gesalzenem Eigelb und dem Weißbrot. Sie schluckte hinunter und freute sich dass sie später sie den Mädels erzählen könnte, wie sie eine femme fatale gemacht hatte. Sie nahm einen Schluck Kaffee und grinste das Eiweiß und den Speck an. Was für Sprüche ihr eingefallen sind: Bei den Katzenaugen "Nein, ich bin doch eher eine Schmusekatze?", als er das mit dem Schrittmotor erwähnte "Das musst Du mir erklären, ein Motor für den Schritt?" und zum Schluss die Frage nach dem Preis."Also für 50€ nur, wenn Du es mir gut und zärtlich machst". Sie schnitt sich ein Brötchen auf. Den jungen Mann am Nachbartisch bemerkte sie zunächst gar nicht.

Dieser junge Mann hatte am Morgen beschlossen wirklich einmal "unter Leute" zu gehen. Sein Vater sollte ihm am Nachmittag nicht wieder Vorhaltungen machen. Einfach das Frühstück am Sonntag in einem Kaffeehaus einzunehmen war genau passend für ihn. Da wäre er dann alleine und doch unter anderen Gesichtern. Sorgfältig hatte er seine Outfit gewählt. Die Mütze war in genau dem kräftigen Farbton wie der Reißverschluss seiner Jacke und die Schnürsenkel seiner Sneakers. Passend zum etwas helleren Farbton der Hose wählte er den breiten, verzierten Baumwollschal. Auf dem Weg zum Marktplatz fielen ihm die Kirchgänger auf. Kurz blieb er stehen und genoss den Anblick der kurzen Prozession von in dunklen Farbtönen gehaltenen Personen, die einen schönen Kontrast zum roten Kirchenportal boten. Darüber strahlte in hellem Blau der Himmel. Hätte er doch nur seine Kamera dabei! Weiter ging er zum Marktplatz. Dort fand er ein richtig altes Kaffeehaus über zwei Geschosse. Als er näher kam, fragte er sich mit welchen "Leuten" genau er denn in seiner Freizeit zusammen sein könnte. Alpha Männer zum Schwanz vergleichen fand er auf keinen Fall interessant, solche hatte er zur Genüge im Labor. Paare sind ja auch nur an Paaren interessiert. Und die Suche nach einer Frau hatte er aufgegeben. Seine eine, es war eine Messdienerin, hatte ein Jahr nach ihm ihr Abitur gemacht. Sie wollten zusammen ziehen, aber dann wollte sie zunächst ein richtiges Studentenleben. Die Trennung war dann doch entgültig. Zwar lernte er andere Frauen kennen, die ihr genauso blond waren, aber diese waren eher dümmlich. Je näher er dem Abschluss kam, um so dümmer wurden die Frauen, die sich in seinem Bett wiederfanden. Aber, egal, an diesem Morgen würde er einfach nur frühstücken, danach etwas lesen und später nach Hause telefonieren. Im Erdgeschoss des Kaffeehauses schaute er sich um und entdeckte schnell die Treppe nach oben. Dort war der Tisch in der Nische am Fenster noch frei. Er nahm Platz und wollte die blonde Frau am Nebentisch einfach ignorieren. 

Er studierte die Karte und als er diese weglegte, fiel ihm etwas an ihren Augen auf, das er aber zunächst ignorierte. Von der Wand holte er sich einen Zeitungsstock und las in einer richtig gedruchten Zeitung. Das fühlte sich richtig antik an. Als der Ober kam und er nachdem er bestellte hatte, sah er es aber deutlich. Es war nicht mehr zu übersehen. War das ein Zeichen? Oder war das nur albern? Ansprechen musste er das aber. Die Zeitung legte er zur Seite und schaute die Frau direkt an. Diese bemerkte seinen Blick und schaute gering schätzend zurück. Er lächelte sie an. Sie lächelte gequält zurück, hob die Augenbrauen hoch und fragte spöttisch: "Kennen wir uns etwa?". Er schüttelte den Kopf und sagte "Nein, es ist nur ...". "Hier, sieh mal" er hatte seine Pudelmütze in der Hand. Sie verstand nicht: "schööööön" sagte sie und holte laut Luft. Er stand grinsend auf, ging die zwei Schritte herüber, hielt die Mütze an ihre Seite und deutete auf den Wandspiegel "Es ist genau derselbe Blauton. Deine Augen, meine Mütze und sogar meine Schnürsenkel".

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