Freitag, 27. Februar 2015

Dresscode

Was sollte er nur anziehen? Barbara wollte ihn heute in "mindestens sauberen Sachen" sehen. Wenn er wollte, könnte er auch in einem Anzug mit Hemd und Krawatte kommen. Er holte den Bügel mit dem Anzug aus seinem Kleiderschrank. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er ihn an. Entschlossen nickte er und legte den Anzug auf das Bett. Zurück am Schrank nahm er die Bügel mit den zwei einfarbigen Hemden heraus. Kurz verglich er, dann zog er das weiße Hemd an. Was würde Barbara wohl anziehen? fragte er sich. Sollte sie in einem Rock kommen? Er zog sich die Anzughose an, steckte das Hemd hinein, schlüpfte in das Sakko und betrachtete sich im Spiegel. Fühlte er sich wohl? fragte er sich mit der linken Hand in der Tasche. Festlich kam er sich vor. Ob Barbara wohl in einem kleinen, schwarzen kommt? Bei dem Gedanken fiel ihm auf, dass der Stoff einer Anzughose um ein vielfaches dünner und leichter war. als der einer Jeans. Schnell schlüpfte er aus der Hose und in seine Lieblingsjeans. Wieder schaute er sich mit der linken Hand in der Tasche an. Er nickte mit dem Kopf und suchte in der Schublade. Sein Schlips oder die Krawatte vom letzten Weihnachten? war seine Frage. Als er versuchte den obersten Knopf des Hemdes zu schließen, erübrigte sich die Frage.


"Was hast Du denn da für ein Teil?" wurde Sven gefragt. "Das sieht ja edel aus?" Bernd war ganz aus dem Häuschen. Er griff nach Svens Krawatte und fragte "So ähnlich wie die Weihnachtskrawatte, nur viel farbiger ... Das ist Seide nicht wahr?" 
Sven breitete die Arme aus, strahlte aus dem glatt rasierten Gesicht und verkündete: "Mann muss sich doch in Schale schmeissen, wenn das was werden soll." "Wenn wir den Zwirn schon selber zahle müsse, warum noch eine eigene Krawatte verschleisse, sag ich mal als Schwab." grinste Bernd. Dieser Standardwitz beendete das Thema Kleidung und die vier jungen Männer wandten sich wieder Fachthemen und Projektständen zu. Alfred fiel kurz auf, wie Svens Erscheinung seine Stellung in der Kleidungsordnung in der Truppe veränderte hatte. War er vorher bei den beiden in Jeans, war er nun der eine ohne Krawatte. Würde er sich immer noch wohl fühlen? Wenn er sich bei den Kollegen hielte, würde es schon nicht auffallen, war sein Plan. Bis Barbara ankam.

"Alle fein gemacht mit Schlips und Anzug", lachte sie und fuhr mit einem "das lob ich mir" fort, bevor sie Alfred erblickte. Ihr Lächeln war nicht mehr so strahlend und er spürte, wie ihm warm wurde. Aber dann war es wieder da und sie tröstete ihn mit einem "Ach, Du hast dafür die breitestete Bust". Dann erklärte sie der Truppe das weitere Vorgehen: "Das Forum ist nicht für euch, ihr kennt da das fachliche schon. ..." Ihm fiel auf, dass sie auch ohne Kleid oder Rock richtig fraulich aussehen kann. ".. es geht ja um eventuelle Kunden und Ansprechpartner. Wir wollen denen demonstrieren, dass wir gute Leute und interessante Themen haben .." Ihr Damenanzug mit der Bluse und dem Blazer, wie der ihre Rundungen betonte. Nur gut, dass er die Jeans angezogen hat. " .. Michael wird die Runde eröffnen, dann gibt es einen Vortrag von diesem Sicherheitsguru und anschließend gehen wir dann in die Cafeteria zu den Stehtischen. Dort gibt es dann Kaffee und weitere Diskussion. Wichtig ist, dass ihr nicht fremdelt und euch aber auch nicht aufdrängt. Hört beim Vortrag interessiert zu, seid ansprechbar und beim Kaffee sollt ihr nicht zusammen stehen. Visitenkarten habt ihr hoffentlich alle dabei?". Alle nickten mit dem Kopf und es ging zum Seminarraum. Vorne gingen Sven und Barbara forsch voran, er ging als Letzter mit einigem Abstand.

Vor dem Seminarraum stand schon der Geschäftsführer mit einigen Kunden. Alle in richtig teurem Zwirn. Barbara gesellte sich zu ihnen, Sven zögerte kurz, stellte sich dann auch neben Barbara. Die anderen gingen direkt in den Seminarraum. Alfred wartete an einem Fenster und schaute auf den Parkplatz. Es trudelten die anderen Besucher des Vortrags ein. Diese schaute er nur kurz an, sie alle waren in mehr oder weniger feinem Zwirn. Und alle hatten eine Krawatte! Wie es ja eigentlich auch von Banken und Versicherungen zu erwarten war. Er machte sich ein wenig grösser und wollte schon in den Seminarraum gehen, als auf dem Parkplatz ein Kleinwagen vor fuhr. Es stieg ein viel zu fülliger Mann mit dicken Kopfhörern aus diesem Smart, der tatsächlich in das Gebäude kam. Leute, die os aussehen, kommen normalerweise mit dem Lieferwagen und bringen Pakete, dachte er sich. Schulterzuckend drehte er sich um und begab sich in den schon fast voll besetzten Raum. Er setzte sich in die letzte Reihe. Wenig später gesellte sich eben jene Gestalt dazu. Nur war Kopfhörer nicht mehr auf dem Kopf sondern um den Hals geklemmt.
Der Geschäftsführer begrüsste die Anwesenden und kündigte den Vortrag zum Thema Sicherheit an. Der Vortragende schläferte den Saal per Powerpoint ziemlich ein, entschuldigte sich für das eher trockene Thema und kündigte dann zum Abschluss eine praktische Vorführung an. "Der Herr Schaller wird nun mit einem normalen, handelsüblichen Kopfhörer einen normalen Laptop mit neuestem Antivirus infizieren." Die Gestalt erhob sich, grinste, ging nach vorne und nahm auf dem Weg die Kopfhörer ab. Er steckte diese in den Laptop und demonstrierte zunächst, dass das System einen eingesteckten Kopfhörer anzeigte, der auch funktionierte. Dann schaltete er den Laptop aus und ein. Zur Verblüffung der Zuschauer startete der Laptop ein wenig langsamer, es erschienen ein paar Meldungen auf dem Bildschirm, "Die sind nur damit Sie verstehen, was dort passiert. In Echt können wir die auch unterdrücken, dann haben Sie eben ein langsames Netz" erklärte der Dicke. Dann anscheinend alles normal, nur mehrere Geräte waren angeschlossen. "Diese Geräte, die sie hier sehen, sind virtuell im Kopfhörer und können nun das System umprogrammieren. Ein Antivirus merkt davon gar nichts!" erzählte er stolz. Das war dann auch das Thema, das in der Cafeteria diskutiert wurde. Die einen waren an den administrativen Möglichkeiten interessiert, solche Angriffe auszuschliessen und abzuwehren. Die anderen, zu denen auch Alfred zählte, interessierten sich für die Technik im Detail.

Am Abend ging Alfred wie jeden Mittwoch in das Fitnessstudio. Mit dem Tag war er zufrieden. Gelesen hatte er ja schon von solchen Angriffen, aber dies zu sehen war schon toll. Während er den Bizeps pumpte, ging sein Blick in die Frauenhantelabteilung. Da fiel ihm der Anblick seines direkten Chefs, Barbara, wieder ein. Bisher war das ein kumpelhafter Chef, der zufällig eine Frau war. Doch nun war es eine richtige Frau, die auf ihn sogar in ihrem Alter seltsam attraktiv wirkte. 

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