Freitag, 5. Dezember 2014

Der Hammer

"Und? Erzählen Sie später auch über ihre Hammerhaie?" hörte er eine bekannte Stimme neben sich. Er drehte sich um und: "Hallo Herr Professor Leinenfelder, wie schön Sie zu sehen" begrüsste er seinen Doktorvater. Ernst fuhr er fort: "Nein, ich soll doch die Anfänger übernehmen, da habe ich mir vorgenommen zunächst mit der Systematik anzufangen. Also zoologische Taxonomie nach Linné. Ganz klassisch, aber das ist doch gerad für Anfänger immer so wichtig, ..." 
"Ach, Doktor Müller-Lüdenscheid, immer noch so geradlinig. Sie haben aber doch über Hammerhaie veröffentlicht. Alleine wie das klingt: Hammer. Hai. Wäre doch genau das richtige um unsere Studentenvertreter zu interessieren. Die wollen doch immer etwas besonderes. Und als Haifischprofessor wären Sie hier dann sofort bekannt." unterbrach ihn der Professor.
"Vielleicht, richtig. Aber ich möchte doch nicht als Haifischprofessor hier anfangen, das würde ich ja doch höchsten, wenn ich denn je einen Ruf bekommen sollte, bestenfalls in Seminaren und Praktika weiter verfolgen können. In der Ausschreibung stand doch die Übernahme von Einführungsvorlesungen und das möchte ich dann auch machen. Und zum Praktikum nach Kalifornien, das würde wohl bei den heutigen Budgets wohl doch eher schwierig und ich möchte ja nicht zu viel versprechen".


Mit Kalifornien war wohl ein Stichwort gefallen, dass den Professor veranlasste zu erzählen: "Kalifornien wäre ja das Ziel, das die Studenten leitet und motiviert. Das doch immer noch das Paradies. Wie Sie vielleicht wissen, dort habe ich damals bei der Marine in St. Barbara promoviert. Das waren noch Zeiten hier wurde gegen Nachrüstung demonstriert und dort Tiere für den Krieg abgerichtet." Er schaute seinen Doktorvater mit großen Augen an, was dieser als Aufforderung nahm ausführlicher zu werden. "Mich hat es damals zu den Delfinen gezogen. Über die wollte ich promovieren und da war das Angebot bei der Marine in Kalifornien einfach gar nicht abschlagbar. Die Tiere sollten die Marinetaucher unterstützen." Er zuckte leicht mit den Schultern und erklärte dann: "Damals stand ich noch voll im Saft, keine 30 Jahre alt." Die Pupillen des Professors weiteten sich bei der Erinnerung und er kam vom zoologischen Thema leicht ab: "Das war ja damals eine Zeit. Obwohl die Antipershing Demonstration in Bonn auch bemerkenswert gewesen sein soll. In Venice Beach war das immer so, die Mädchen, die Jungs. Und wie die Feiern dann auch immer ausgeartet sind. War damals etwas besonderes, man war ja prüde aufgewachsen und dann." Er schüttelte den Kopf, lächelte ein wenig und fuhr dann fort: "Nach der Promotion bin ich dann ja hier gelandet. Es galt den Fachbereich aufzubauen. Und nun wollen Sie das dann demnächst übernehmen?" 
"Nein, nein. Ich bin ganz bodenständig, hier aufgewachsen und meine Mutter ist ja nun ganz alleine in unserem Haus, da muss ich doch nach dem rechten sehen und es war einfach Glück, dass das nun so richtig zu passen scheint. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar ..."
Der Professor unterbrach ihn mit einem Lachen und meinte: "Weiß auch nicht warum mir das jetzt einfällt. Delphine heißen ja im chinesischen Schweinefische und Schweine sind das ja nun wirklich. Haben Sie von dieser Trainerin gehört, die mit einem Delphinbullen trainiert hat? Sie hat ihn zur Belohnung immer gestreichelt. Am Anfang war alles schicklich, am Ende wollte er nur noch Sex. Ist ja auch ein Säugetier und hat einen Penis. Stellen Sie sich das mal vor?" lachend klopfte er ihm auf die Schulter.

Ihm wurde bei den Ausführungen recht warm. Es sammelten sich Schweißtröpfchen auf seiner Stirn und am liebsten würde er sich die Krawatte abnehmen. Er holte ein Päckchen Papiertaschentücher aus seiner Hose und versuchte es zu öffnen. "Ach, was Sie erzählen, das bringt mich ganz aus dem Konzept. Ich muss mich doch auf die Probevorlesung konzentrieren. Vermutlich liege ich ja ganz gut im Rennen, aber wer weiß."

Sein Doktorvater schaute in sein tiefrotes Gesicht und versuchte ihn zu beruhigen: "Sie schaffen das schon, sehen Sie wir sind hier eine verschworene Gemeinschaft. Ich bin zwar nicht in der Kommission, aber doch so etwas wie die graue Eminenz hier. Und meine Kontakte haben mir versichert, Sie haben die besten Qualifikationen. Nur noch ein wenig die Studenten ruhig stellen und das wird schon. Einfach anfangen und die Leute gar nicht beachten. Sie stehen im Licht und dann eine Folie nach der anderen. Ein schöner Singsang und schon schlafen alle ein."
Müller-Lüdenscheid wischte sich die Stirn ab, holte Luft und widersprach dann entschieden: "Also, so möchte ich das nicht machen, es soll schon ein guter Anfang werden. So wie Sie immer die Vorlesungen machen, so möchte ich das auch machen. Sie haben immer alle mitgerissen. Da bin ich gespannt, wie ich das wohl hin bekomme. In so einem voll besetzten Audimax zu reden, ist schon neu für mich. Wie ich das nur richitg hinbekommen?"
Freudig fand der Professor ein weiteres Thema zum dozieren: "Da gibt es einen ganz einfachen Trick. Jeder erklärt am Besten, wenn er zu jemanden spricht. Und wenn jemandem etwas erklärt wird, hören andere gerne zu. Das funktioniert egal wie groß der Raum ist und egal wie viele zu hören." Hier machte er eine Pause und schaute ihn an. "Einen aussuchen, der Ihnen sympathisch ist, der so aussieht, als wenn er Ihnen zuhören will. Das ist ihr Anker, mit dem fangen Sie an. Sobald Sie merken, dass dieser eine Ihnen folgt, schauen Sie sich nach dem nächsten um, " der Professor drehte sich theatralisch um, "bis Sie wieder einen finden, dann reden Sie zu diesem und so weiter." Damit schaute er ihn wieder an. "Am Ende meint jeder, der im Raum ist, Sie würden zu ihm reden. Das ist alles".

Später in der Probevorlesung machte es der Herr Doktor Müller-Lüdenscheid, wie im geraten war. Er sortierte seine Unterlagen und schaute sich um, ob er einen ersten finden könnte. Es kann ja nur jemand in den ersten Reihen sein. Sein Blick musterte die dritte Reihe und fand zwei blaue Augen. Sie bewunderten ihn und gehörten zu dem hellen, runden Gesicht einer hellblonden Studentin. Zwischen den Augen befand sich ein wunderschönes Nasenbein mit einer winzigen Nase über diesen vollen, roten Lippen. Warum wurde ihm nur wieder so warm?

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