Sonntag, 9. April 2017

Macho

"Kommst Du?", Mona drängte schon wieder.
"Ja, ja. Gleich. Musst Du immer so drängen. Ich weiß gar nicht, welche Mütze besser aussieht. Was meinst Du? Diese hier hätte doch etwas." Er setzte sich eine schwarze Pudelmütze auf und grinste seine Freundin an.
"Du spinnst. Ist doch viel zu warm. Wir sollten dann aber bald"
"Na gut, dann also die einfache aus Baumwolle. Flach und schmucklos. Fast schon wie ein Kopftuch."
Grimmig zog er einen schwarzen Mützenschlauch auf seinen Schädel. Es war ein Schlauch aus Baumwolle, der an einem Ende mit einem zugenähten Knoten versehen war. Falls er seine Haare hinten zu einem Dutt zusammengebunden hätte, wäre es so wie ein Kopftuch. Bei Mona sah das herrlich aus. Sie hatte ja auch blonde Haare, die so lang waren, dass ein Dutt an ihrem Hinterkopf möglich war und sogar noch ein kleiner Pferdeschwanz verschämt unter Mütze zum Vorschein kam. Sein kleines Knötchen machte bei der Mütze nicht viel aus. Es sah aus wie eine Schlafmütze.
"Warum eigentlich überhaupt eine Mütze?"
"Du weißt doch, wie die Leute hier sind. Ich will kein Kopftuch tragen und wir haben doch Partnerlook ausgemacht." Sie kraulte seinen Vollbart und schaute ihn mit einem gekonnten Schmollmund an.
"Ja, ja", er liebte es ihr zustimmen zu können.
"Beeil Dich, der Bus wartet nicht", mahnte sie ihn. Ihre blauen Augen wiesen nach unten, zu seinen Füßen. Tatsächlich! Da war noch nichts. Er suchte nach den Flip-Flops.
"Wir wollen doch oben ein wenig herumlaufen. Es wird kalt und steinig sein. Warum haben wir denn sonst die gleichen Bergschuhe gekauft?"
"Da schwitze ich doch nur drin."
"Dann sind wir oben und unten im Partnerlook. Und es ist oben wirklich kalt und steinig."
"Kann man sich doch gar nicht vorstellen. Das wird da oben auch nicht unter zehn Grad sein. Aber ...", ein Blick in ihre blauen Augen reichte aus, " ... dann eben. Nun gut."


Lange brauchten sie nicht auf den Bus zu warten. Außer ihnen machte sich noch ein weiteres Paar aus Deutschland auf den Weg zur Seilbahn. Unterwegs stiegen Einheimische zu und fuhren ein paar Stationen mit. Darunter befanden sich auch Mädchen oder vielmehr junge Frauen, zu, die kein Kopftuch trugen. Zwar waren die Haare meistens sittsam zusammen gebunden, aber eine trug einen Scheitel so, dass ein Auge von der Strähne vollständig bedeckt war. Er war sprachlos. Kurz schaute er zu Mona, dann zog er seine Mütze ab. Das musste er doch mit seinen Haarpracht auch hin bekommen!
"Schau mal, Mona", sagte er und löste das Haargummi von seinem kleinen Haarknoten am Hinterkopf. Mit einem Kamm formte er einen Seitenscheitel.
Mona schüttelte nur leicht den Kopf. Aber sie verstand ihn.
"Vielleicht werden die ja noch so richtig lang und dann so wie sie dort hinten", er nickte in Richtung der offen haarigen, jungen Frau.
Mona blickte hinüber und meinte: "Also ich bleib bei der Mütze. Ist ja auch wegen der Sonne besser. Und oben erst. Da ist die Strahlung ja noch viel intensiver."
"Ich habe doch nichts gegen die Mütze. Aber die Frisur? Was meinst Du?"
Mona fuhr mit ihrer Hand durch seine Haare.
"Das wird bestimmt", sagte sie nicht sehr überzeugend. Ist ja auch egal, dachte er und zog die Mütze wieder über die nun unsortierten Haare.

An der Seilbahn zum Gipfel mussten sie in einer Schlange warten. Es gab Touristen mit kurzen Hosen und weißen Beinen, die sich um die Kälte oben nicht kümmerten. Dann waren da noch einheimische Touristen, die Pudelmützen, Schals und dicke Handschuhe mit sich führten. Sie zogen diese unten schon immer mal an und fotographierten sich dabei. Für sie war es wohl eine Sensation in die Kälte nach oben zu fahren.
Wie hoch das eigentlich ging, war nicht direkt klar. Steil ging die Seilbahn zunächst einen Abhang hoch, dann oben weiter. Wo sie genau endete, war gar nicht zu erkennen.
"So hoch geht das ja gar nicht. Oder?", fragte er.
"Das geht schon auf über 5.000 Meter hoch. Wir sehen das von hier unten gar nicht. Da kommt erst der Abhang hier, dann oben über eine Hochfläche und ganz zum Schluss noch einmal steil nach oben. Da oben wächst dann auch gar nichts mehr. Das ist total selten", dozierte Mona.
Er mochte es, wenn sie ihm ihre Sachen erklärte. Deswegen brauchte er sich auch nur um die schönen Dinge in ihrer Beziehung zu kümmern. Wie gut er es doch getroffen hatte.
Als sie fertig war, wollte er ihren lieblichen Mund einfach küssen.
"Nicht doch!", wehrte sie ab. "Es ist in den südlichen Ländern doch nie üblich, dass Paare in der Öffentlichkeit zärtlich sind."
Er zuckte mit den Achseln und schmollte.

Es waren recht lange Gondeln, die nach oben fuhren. Vorne und hinten gab es Sitzbänke, die von Familien mit Kindern belegt wurden. Er und Mona standen in der Mitte. Das war auch ganz gut so, dann konnte sie links und rechts aus den Fenstern heraus, Fotos machen. Seine Mona konnte das wirklich super machen. Für ihn gab es nur zu schauen und ab und zu kommentieren. "Schau mal, wie die Affen in die Bäume flitzen" oder "Da oben die Berge sind ja mit Schnee" waren die eher sinnvollen davon.

Dann stoppte die Seilbahn. Es ging einfach nicht mehr weiter. Er fand das toll. So konnte er in Ruhe einmal schauen, wo sie eigentlich genau waren. Im Hintergrund hörte er das Lachen der Kinder. Unten war, am Fuß des Mastes eine Art Antilope oder Gemse oder so etwas zu sehen. Gemütlich fraß es einfach. Wie friedlich und natürlich das doch war!

Dann hörte er, wie vorne die Kinder weinten. Was machten seine Mitreisenden? Mona hielt sich still an einer Stange fest. Sie war ganz bleich. Vorne war das deutsche Paar, das mit ihnen im Bus gefahren war. Er hielt sie wie ein richtiger Macho im Arm. Sie hatte ihr Gesicht an seine rechte Brust gepresst. Ihre Augen sprachen von Panik. Welch ein Bild, dachte er. Die schwache Frau presst sich an den starken Mann. In welcher Zeit leben die denn?

Er wollte Mona seine Gedanken mitteilen, als diese seinen linken Arm griff. Zunächst klammerte sie sich nur fest, dann legte sie ihn sich um ihre Schultern.
"Ich habe Angst", sagte sie leise.

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