Sonntag, 5. März 2017

Die Liebe seines Lebens

Sie band gerade ihre weiße Schürze zusammen, als sie ihn bemerkte. Er lächelte im Gegensatz zu den anderen Besuchern des Bahnhofcafés. Alle anderen Gäste waren, wie immer am Montagmorgen, noch im Bett oder noch am Feiern. Dieser Gast aber saß gut gelaunt an seinem Tischchen. Neugierig, aber eher indirekt von der Seite, musterte sie ihn. Die Falten in seinem Gesicht verrieten eine eher depressive Weltsicht, wie sie in diesen Zeiten normal war. Trotzdem lächelten seine Augen und auch seine Mundwinkel. Sein Tisch war schon gewischt, bestellt hatte er anscheinend noch nichts.
Wie lange er dort wohl schon wartete? Was er wohl bestellen würde? Er sah aus wie jemand, der nur ein Kaffee trinken wollte. Hoffentlich bestellte er nicht nur einen schnellen Espresso.
Beiläufig kam sie an seinen Tisch.
"Guten Morgen, was darf es sein?"
"Hallo ...", er wurde aus seinen Träumen gerissen und machte erst ein erstauntes, dann aber wieder freundlich, lächelndes Gesicht.
"Entschuldigung, einen Cappuccino bitte"
"Kommt sofort".

Den Cappuccino zahlte er sofort. Erfreut stellte er die Qualität des gelieferten Getränks fest. Die Milch war kräftig geschäumt, so dass das Plätzchen nicht unterginge. Wenn er es denn drauf legen würde. Er gehörte nicht zu den Cappuccino Genießern, die erst einmal das Plätzchen oben auf den Schaum legten, damit es sich voll sog. Sein Stil war das nicht. Er streute immer erst den Zucker darauf, um dann umzurühren. Schon griff er nach der Zuckerdose und wollte ihn schon über den Schaum gießen, da fiel ihm das Muster auf. Es war tatsächlich ein Herz. War ihm zunächst gar nicht aufgefallen. Hatte die Kleine etwa deswegen gewartet?
Sein Blick schweifte zu der Bedienung. Sie hatte nicht nur das hübsche Gesicht über dem schmalen Hals, sondern auch die richtigen Rundungen. Erfreut beobachtete er ihren Gang von einem Tisch zum nächsten. Dann widmete er sich wieder dem Zucker. Es war brauner Zucker, der auf dem Schaum lag. So war es richtig. Nach dem Umrühren, zunächst den zuckrigen Schaum löffeln.
Eine Viertelstunde ließ er sich Zeit mit genüsslichen Verzehr des Cappuccinos, dann machte er sich auf zur Straßenbahn. Es galt an dem Tag das Collier zu kaufen, von dem er gelesen hatte. Es war aus den 50er Jahren und sollte genau die richtige Länge für einen schmalen Hals haben.

Tatsächlich wartete doch schon ein Kunde vor der Tür. Das musste der gestrige Anrufer sein!
"Guten Morgen, sie kommen wegen des Colliers?"
"Ja genau", sagte der ältere Herr mit den strahlenden Augen. So sind die richtigen Sammler und Jäger eben alle, dachte sie. Da kann der Mann so alt sein wie er will.
"Ich hole es Ihnen, nehmen Sie doch nur Platz."
Ging das kurze Collier vielleicht doch weg! Es war nur für einen schmalen Hals gedacht und sah leider so eher nach Autobahngold aus. Deswegen konnten sie es auch so billig einkaufen. Zum Glück hatte ihr Mann bei einem Test dann doch festgestellt, dass es 585er Gold war. Genau wie es auch auf dem Stempel ausgewiesen wurde.
"Hier ist es", legte sie es auf dem Tisch.
Er nahm es mit beiden Händen auf, schaute sich den Schmuck genau an.
"Sicher kein Autobahngold?", fragte er.
"Haben wir zunächst auch gedacht. Gab es ja genug in den 70ern. Solche gefälschten Schmuckstücke mit Stempel und dann doch nicht. Und auch mit solchen eher platten Schmuck. Aber nein, das haben wir selbstverständlich prüfen lassen und können wir Ihnen garantieren. Daran ist alles echt. Vermutlich kommt aus den 50ern, Anfang 60er Jahre. Für heutigen Geschmack ist es ja eigentlich zu eng. Weiter machen ist wohl schwierig, da muss ich Sie drauf hinweisen.", ehrlich wie immer wies sie auf die eventuellen Nachteile ihres Schmucks hin. Sie hatte lieber zufriedene Kunden, die dann von der Qualität erzählten.
Er legte es auf den Tisch und maß die Weite des Halses mit seinen beiden Händen. Wie konnte er die weite des Halses seiner Frau mit den Händen messen? Was es doch alles für Männer gab, schoss ihr durch den Kopf.
"Das passt genau, das nehme ich", sagte er.

Er nahm die Straßenbahn zurück zum Bahnhof. Das Collier in seinem Säckchen hatte er im Mantel verstaut. Eine Erleichterung und Freude zeigte sich auf seinem Gesicht, so dass ihn fremde Leute grüßten. Lässig grüßte er zurück. Es war ja ein Triumphtag.
Am Bahnhof angekommen wandte er sich nach links. Zuerst ging er zu einer Bank. Zielstrebig ging er zu einem Schreibtisch, an dem eine zierliche, blonde Frau saß. Nach ein paar Worten stand sie auf und er folgte ihr zu den Schließfächern.

"Ich lasse Sie dann alleine. Wenn Sie fertig sind ... ", ein kurzer Blick sagte ihr, dass er keine Erklärungen wollte, "Ok". Sie ging.
Er atmete tief ein und aus. Bald würde er sie wiedersehen. In Momenten wie diesen ging sein Puls immer ein wenig schneller. Einen leichten, aber doch angenehmen Schmerz verspürte er in seiner Brust. Nun galt es. Seine Hand zitterte nicht, als er den Schlüssel in das Kassetenschloß führte. Entschlossen drehte er um.
Da war sie! Andächtig betrachtete er das Bild der Callas auf einer Schallplatte. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er über das Bild.
"Schau mal, was ich Dir mitgebracht habe", sagte er und holte das Säckchen mit dem Collier aus dem Mantel. Vorsichtig holte er das Collier heraus und hielt es über die Schallplatte.
"Na dann lass mal sehen", sagte er zu der Schallplatte, legte das Collier auf den Tisch und nahm die Schallplatte aus der Kassette. Darunter kamen Zeitungsartikel über die Callas zum Vorschein. In diesen suchte er, bis er einen mit einem Foto von der Callas mit einem Collier fand.
"Es ist es", waren seine Worte, als sein Blick zwischen Foto und Collier hin- und herging.
Freudig packte er alles zusammen und schloss die Kassette wieder ein.

Mit dem Collier wurde seine Frau seiner Liebe wieder ein Stückchen ähnlicher!

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