Freitag, 7. August 2015

Effektiv

In seinem Lieblingscafe konnte er diesmal nicht ganz so ruhig lesen. Zwar waren die Tische auf der Veranda spärlich besetzt, aber eine Stimme am Tisch hinter ihm telefonierte. Bei den ersten gebrüllten "Ja"s kniff er nur kurz die Lippen zusammen. Als dann "Das ist eine Rammelburg, keine Hammelburg" kam, blickte er auf und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Dafür verkniff er sich das Umdrehen und Nachsehen, wer so etwas seinen Mitmenschen antat. Er zwang sich weiter zu lesen und zeigte bei dem "Genau für alte Häschen, die es brauchen" überhaupt keine Reaktion. Die kam, als er "Kommt auch diese Trulla?" ... "Ulla?" hörte. Zwar blickte er nicht auf, aber bei Ulla gingen seine Augenbrauen nach oben und seine Mundwinkel nach aussen.
Wenig später verließ die penetrante Stimme ihren Tisch und er las zügig weiter. Würde das Ende der Geschichte so sein, wie im ersten Kapitel angekündigt? Er mochte vorhersehbare Entwicklungen. Auf der zweiten Seite wurde eine etwaige Erbschaft erwähnt, ohne ersichtlichen Grund. Also müsste diese Erbschaft doch zum Kauf der Ritterburg verwendet werden, wenn es sich um eine normale Liebesgeschichte handeln sollte. Tatsächlich! befriedigt schaute er auf seine Uhr, nickte und suchte dann einen Blickkontakt mit der Bedienung aufzubauen. Dies ließ auf sich warten, also packte er das Kindle in den Rucksack und kramte dann im Kleingeld. Sollte er die 60 cent Trinkgeld geben? Eigentlich wäre das ja zu viel, aber die Zeit drängte. Ein weiterer Blick auf die Uhr und er stand seufzend auf. Dabei lies er dann das Kleingeld auf dem Tisch. Die Bedienung verabschiedete ihn freundlich.

Nach der Präsentation, seine Rolle war dabei nur ein wissender Zuhörer, der eine Frage stellte und dann nickend Recht gab, schaute er noch einmal in seinem Büro vorbei. Auf dem Weg dorthin hörte er hinter sich "Ist das nicht ... Herr Hertel! wie geht es Ihnen". Lächelnd drehte er sich um.
"Frau Immelt?" Es war die Personalleiterin, die ihn vor Jahren hier eingestellt hatte. Sie freute sich ihn wiederzusehen. Er äusserte sich zufrieden mit dem Umfeld, in dem er aktuell eingesetzt wäre. Scherzend fragte sie ihn dann: "Und nun kommen Sie mit Fotokamera in das Geschäft, nicht dass Sie noch zu den Spionen gehören."
"Was? Wieso?"
"Ihr Rucksack, dort steht doch 'Nikon'. Mein Mann ist ein begeisterter Fotograf. Er nimmt solche Rucksäcke immer auf Stadtreisen mit."
"Das wird ja immer weniger, was man für gute Fotos braucht. Und da nehme ich einen so großen Rucksack gar nicht mehr für die Ausrüstung. Aber der ist zum einen leicht und total praktisch. Da habe ich alles dabei, was ich so brauche." Er nahm ihn ab und öffnete ihn. "Hier innen die Fächer, eigentlich sind die für Kameragehäuse und Objektive. Ich habe hier vorne das Mittagessen und dort die Adapter für smartphone und tablet. Die zwei habe ich im Fach hier auf der Vorderseite. Da kann ich die dann immer schnell herausnehmen, wenn ich sie brauche. Praktisch, nicht wahr?" grinste er sie an.
"Und was ist das für ein Glas?", aussen steckte ein Glas mit einer roten, milchigen Flüssigkeit in einem Fach.
"Das ist normalerweise das Fach für das Wechselobjektiv. Meine Frau hat mir da eine Mischung zubereitet. Vor dem Sport heute Abend tanke ich damit noch einmal Elektrolyte."
"Ah, ihre Frau. Geht es ihrer Praxis auch gut. Sie ist doch Heilpraktikerin?"
Zum Glück nahm das Gespräch keine Wendung über Gebrechen und beginnende Krankheiten, stattdessen wurde ein weiteres, kleines Detail thematisiert.
"Warum haben Sie eigentlich hier den Schirm an der anderen Seite im Rucksack? Es soll doch gar nicht regnen."
"Der wiegt doch nur 150 gr. Und, wenn es dann doch regnet, im Falle eines Falles?"
"Ein starker Mann kann auch einen vollen Rucksack tragen. Meine Ding sind ja mehr so effektiv gepackte Handtaschen, in denen nur die Sachen sind, die auch unbedingt benötigt werden. Ich glaub ihre Frau ist auch so drauf."
Danach verabschiedeten sie sich, nicht ohne sich zu versprechen, sich doch mal in der Freizeit zu verabreden.

Nach dem Besuch in der Muckibude kam er ausgelaugt in der Wohnung an. Den Rucksack hängte er an den Haken links außen an der Garderobe. Die anderen waren belegt mit einer Auswahl der Handtaschen seiner Frau. Er bückte sich, zog seine Schuhe aus, schlüpfte in die Schlappen und stellte die Schuhe in das Schuhregal. Als er wieder aufrecht stand, musterte er neugierig die Handtaschen seiner Frau. Eine kleine aus Leder fasste er an und hielt sie hoch. Dann fasste er eine riesengroße an, wog sie in der Hand und schüttelte den Kopf. Kurz zuckte er mit den Schultern, dann ging er in das Wohnzimmer.

Dort erwarteten ihn vor dem Fernseher eine Platte mit Schnittchen und ein immer noch kühles Bier. Seine Frau fehlte. Im Schlafzimmer fand er sie. Sie packte einen Kabinenkoffer. Nach dem Begrüssungskuss fragte er wo es denn hin ginge.
"Wir haben doch mit der Chakrameditationsgruppe das Vollmondtreffen. Es geht diesmal zu einer alten Burg. Alte Kunden, neue Kunden. Wird bestimmt wieder interessant. Morgen früh um 7 Uhr 30 muss ich am Bahnhof sein. Am Sonntag gegen 15 Uhr 30 bin ich dann wieder zurück. Ich komm dann gleich zum Abendessen."
Er ging in das Wohnzimmer und legte die Füsse vor dem Fernseher hoch. Nach einem Schnittchen und einem Schluck Bier nahm er den Flyer mit dem Treffen in die Hand. Es ging um das 2.te Chakra. Hatten sie also schon alle 7 einmal durchmeditiert, dachte er sich und schüttelte den Kopf. Immer zu Vollmond treffen sie sich, es sei denn es gibt ein christliches oder keltisches Fest. Wie soll das eine normaler Mensch auf die Reihe bekommen, wunderte er sich. Auf der 3.ten Seite des Flyers war das Programm mit den Vorträgen. Es ging um Sinnlichkeit und Wasserenergie und so weiter. Auch gab es wieder "Schüsslersalze bei der Erweckung der Energie des 2. Chakras" von "Ulla Hertel". Er bewunderte ihre Geschäftstüchtigkeit.

Die beiden schauten den Krimi zu Ende. Sie ging, wie immer, bei Beginn der freitäglichen Börsensendung schon ins Bett. Er folgte wenig später. Im Flur sah er den gepackten Koffer und eine kleine, grüne Handtasche. Er stutzte und fragte sich, was effektiv gepackt dort drin sein mochte. Schon hatte er sie geöffnet und fand den Schlüssel, die kleine Geldbörse und das Handy. Ladegerät war nicht gepackt. Aber das Handy war aufgeladen und würde es auch nicht benötigen. In dem kleinen Fach an der Rückseite war ein schwarzes Päckchen aus Karton. Er las "Billy Boy - ultra sensitive".
Ganz langsam schloss er das Täschchen und legte es zurück.

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