Freitag, 17. Oktober 2014

Alles Fit?

Zwar hatte sein Laden 24 Stunden auf, aber morgens früh müssen die Örtlichkeiten der Reihe nach geputzt und vor allem abgewischt werden. Den Kinosaal und den DVD Shop musste er mittlerweile selber putzten, aber für die Videokabinen konnte er sich noch eine Putzfrau leisten. Vor zwanzig Jahren war das alles anders. Damals ließ er putzen! Wenn nur das Scheißinternet nicht gekommen wäre. Er wartete noch auf seine Ablösung, dann machte er sich auf den Heimweg.



Vorher hieß es noch einen Kaffee beim Herbert nehmen, er musste noch warten bis die Geschäfte aufmachten. Normalerweise begrüsste ihn Herbert mit einem "Und? alles Fit im Schritt?". Wie jeder Mann hätte er mit einem strahlend gelachten "klar doch und selbst?" geantwortet. Diesmal war aber statt Herbert eine junge, schlanke und rothaarige Elfe hinter dem Tresen. Auf ihr eher schüchternes "hallo" antwortete er mit "Welch eine Veränderung, Herbert, wie hast Du denn das gemacht?". Es gab keine Frau, die er nicht zum lachen bringen könnte. So wurde hier auch das Eis gebrochen, sie lachte und er bestellte einen Capuccino. Aufmerksam musterte er sie, während sie die Kaffeemaschine bediente. Der Kontrast von ihrer bleichen Haut zu dem dunklen Trägerkleidchen gefiel ihm. Als sie ihm den Capuccino an den Tisch brachte, schmunzelte er beim Anblick der dunklen Stiefelchen. Wie die jungen Dinger heute herumlaufen. Sie stellte ihm die Tasse auf den Tisch und er bemerkte einen kleinen Delphinanhänger in ihrem Ausschnitt. Mit einem "Einen Moment" blickte er lächelnd in ihre Augen, mit einem "Ich darf doch mal" griff er in ihren Ausschnitt, nahm den Anhänger in die Hand und musterte ihn. Die junge Frau wartete geduldig auf das Urteil dieses netten Opas zu ihrem Schmuck. Sein Lob "Das ist ja ein schöner Anhänger aus Jade. Du hast ja richtig Geschmack, wie schön" hörte sie gerne. Den Klaps auf ihr Hinterteil beantwortete sie mit einem gelachten "Na, na". Vor zwanzig Jahren hätte er sie bestimmt vernascht. Damals. Aber so rührte er in seinem Capuccino und schaute ihr nur zu.

Im Reformhaus kaufte er seine Bioprodukte. In seinem Alter hieß es auf seine Gesundheit achten. Krank werden kam für ihn gar nicht in Frage. Was sollte aus seinem Laden werden? Sein Arzt lobte ihn immer wegen seiner Werte, wenn doch nur alle Patienten so wären. Nur Fit im Schritt war er nicht. Weder Frauen noch Männer konnten hier etwas in Bewegung setzen. Das hatte ihm diese rote Elfe beim Herbert wieder deutlich vor Augen geführt. Warum ist er gesund, wenn er dann doch nichts davon hat? Nachdenklich betrachtete er die Flasche mit dem Biotomatensaft. Dabei hatte sie rote Haare, genau wie alle Frauen, die sein Leben bestimmten. Im Schulhof das Mädchen, das ihn zum stottern brachte, sobald er sie ansprechen wollte. Er hasste damals alle Mädchen! Die Liebe seines Lebens, die er nach der Lehre kennenlernte. Für fünfzehn Jahre war die Welt in Ordnung. Und dann kam die Schlampe, wegen der er seine Traumfrau verliess. Vielleicht haben ja doch Kinder gefehlt? Kopf schüttelnd verstaute er die Flasche im Einkaufskorb und beschloss nicht weiter daran zu denken.

Er fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Als er in der Unterführung am Bahnhof war, fragte er sich, ob es vielleicht genau dieses Radfahren war, das ihm seine Schrittfitness geraubt hat. Die Prostata war es jedenfalls nicht, obwohl die letzte Abtasterei schon Jahre zurücklag. Vermutlich war es aber einfach nur die Abstumpfung durch die Pornos. Anfangs haben noch die blauen Pillen geholfen, aber auch das hatte dann nachgelassen. Egal, mit dem Thema sollte Schluss sein.

Gegenüber von seiner Adresse wurde ein Geschäft neu eröffnet. Gespannt hatte er beobachtet wie dieser alte Laden hergerichtet wurde. Das muss ein ganz besonderer Optimist sein, hatte er sich gedacht. Wer eröffnet heute noch in einer Wohnstrasse einen Laden? Anfangs tippte er auf Versicherungsagentur oder Stadtteilmagazin, dann wurde das Schild mit "Anti Aging Coaching" angebracht. Was das wohl wird? Vor dem Geschäft stieg er vom Fahrrad und schaute in das Schaufenster. Anscheinend wurde der Laden an dem Tag eröffnet, drinnen wartete jedenfalls eine dickliche, kleine Frau mit langen, roten Haaren. Er öffnete die Tür und wurde mit einem freundlichen "Hallo" begrüsst. Sie hatte eine bleiche, schon recht faltige und fleckige Haut, die aber trotzdem in einen reizvollen Kontrast stand zu der dunklen, aufgeknöpften Bluse. Bei ihrem Lächeln kamen die Krähenfüsse an den Schläfen deutlich zum Vorschein. Offensichtlich jemand, der viel zu lachen hat. Wieder bemerkte er einen Anhänger, dieser lenkte den Blick auf die Runzeln zwischen ihren Brüsten. Und so etwas will "Anti Aging" verkaufen? Aber dann bemerkte er die wenigen grauen Strähnen zwischen ihren roten Haaren und, ja, das sind ungefärbte Haare. Dann hätte ja das nicht-Altern in zumindest einem Bereich funktioniert! Er wollte sie damit loben und sagen, dass ihre Haare ja nun wirklich nicht gefärbt seien und hätten sich rot erhalten. Wäre doch ein passenden Kompliment. Aber es kam nur ein "I...Hre.. Ha ... Haare sch... schön... gefärbt" heraus. Verwirrt stellte er fest, dass er das Gegenteil von dem heraus gebracht hatte, was er eigentlich sagen wollte. Und wieso stotterte er nur? Sie zog die Augenbrauen zusammen und entgegnete: "Nee, die sind Natur! Alles an mir ist natürlich", dabei machte sie eine Drehung. Ihr langer, weiter Faltenrock hob sich ein wenig und er sah ihre bleichen, krampfaderlosen Unterschenkel. Warum fing er an zu schwitzen? Sie schaute ihn breit lächelnd an und erklärte ihr Konzept das Altern durch Meditation und Yoga und Motivation zurückzudrängen, wobei auch eine Ernährungsberatung helfen könnte. Der erste, potentielle Kunde war anscheinend beeindruckt und kam schon ganz früh in ihren Laden. Sie hatte geahnt, dass das klappen würde! Aber er hörte so genau gar nicht mehr zu. Verlegen stellte er bei einem Blick im Spiegel fest, dass er mit hoch rotem Kopf da stand und dann bemerkte er ein Drücken in der Hose. Nickend und winkend verabschiedete er sich.

Er nahm sein Fahrrad, überquerte die Strasse und schob es in den Innenhof. Seine Erregung schwoll ab, nachdenklich nahm er seinen Korb und ging dann aber beschwingt die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Lange stand er am Fenster und blickte in den Laden. Wie war das noch, damals, als er seine Eine angesprochen hatte?

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