Freitag, 27. November 2015

Das Geschenk

"Zum Geburtstag Viel Glück" sangen sie. Seit der Chef vor Jahren einmal vorschlug doch zu singen, musste bei jedem Geburtstag gesungen werden. Der Geburtstagende brachte schon immer Butterbrezeln oder Blechkuchen. Blechkuchen bedeutete ein Opfer von Zeit zu Gunsten der Gemeinschaft, Butterbrezeln waren ein Opfer von Geld. Alfred opferte bei seinem Geburtstag noch ein bisschen mehr Geld und brachte ausgefallenen Prosecco statt des sonst üblichen Sekts mit. Der Billigsekt vom Discounter ging bei ihm einfach nicht. Wenn er schon einen ausgeben musste, dann richtig. Es war üblich, dass der Geburtstagende keinen Orangensaft oder Sekt Orange trank. So trank Alfred zu seinem eigenen Geburtstag immer zwei Gläschen Prosecco am Vormittag. Zwar hatte er dann einen kleinen Rausch, aber zum Nachmittag wäre er für die Routinearbeiten wieder fit. So hatte er es die letzten Jahre immer gehalten, vormittags feiern, dann arbeiten, zu Hause den Anruf von Mutti hinter sich bringen und dann noch ein wenig lesen.


Nach dem Kantinenbesuch ging es um den Block. Man sprach über das Wetter, die Wirtschaft und auch über Sport. Als sie wieder im Haus waren, meinte von der Lautern: "Wir müssen alle noch kurz bei uns rein. Der Eugen hat Vollzug gemeldet!"
"Wie?"
"Eugen hat heute morgen entbunden und kommt mit einem Umtrunk vorbei"
"Der kleine heißt aber nicht Alfred"
Alle lachten und so fand sich Alfred mit einem Glas billigen Sekt in der Hand wieder. Er wunderte sich über diesen Eugen, der noch nicht einmal dreissig Jahre alt war. Seine Frau war noch jünger. Es müssen Relikte aus alten Zeiten, diese Russlanddeutschen. Normale Paare schauen doch erst, ob sie zusammen passen, bevor Kinder geplant werden. Er trank auf den Armen ein zweites Gläschen. Danach verkniff er sich endgültige Entscheiden seiner Fälle. Weil besser nichts gemacht, als Fehler gemacht!

War er durch den Nachmittag schon ausser Bahn geworfen, so übersah er das Törtchen mit der einen Kerze auf dem Esstisch gefliessentlich. Sein Gast müsste es vergessen haben. Oder vielleicht doch? In dem Moment klingelte das Festnetztelefon. Es war seine Mutter. Das Gespräch verlief in den üblichen Bahnen, nach der Gratulation, kam der Vorwurf des nur telefonierens bei Geburtstag und sonst wäre ja nichts. Ein klein wenig kürzer als sonst war es schon und seine Mutter wünschte ihm noch einen schönen Abend. Er legte auf und stellte fest, dass sie das noch nie so explizit gewünscht hatte. Er wechselte in einen eleganten Seidenpyjama und ging in die Küche um zu sehen, was sein Gast zu bereitet hatte. Die Zeituhr am Herd zeigte noch ein paar Minuten, als Andrea mit einer Einkaufstasche zur Tür hereinkam.

"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag" verkündete sie.
"Danke, danke, woher ..."
"Da staunst Du was. Habe ich einfach riskiert. In deinem Kalender steht für heute 'Geburtstag' und gestern hast Du die Kiste Prosecco in das Büro geschleppt. Da liege ich doch richtig."
Alfred war sprachlos erstaunt.
"Und dann habe ich einen kleinen Kuchen gebacken und eine Quiche gemacht. Zur Quiche passt ein guter Rotwein aus dem Burgund. In ein paar Minuten können wir essen und feiern."
Eigentlich wollte er protestieren. Es war immerhin sein Geburtstag und den feierte er nicht. Warum sollte er den auch feiern? Was gab es da überhaupt zu feiern? Im Büro war das so üblich. Seiner Mutter war das wohl auch wichtig. Wie er am Nachmittag gelernt hatte, war die Geburt normalerweise für Mutter und Kind etwas schmerzhaftes. Andrea deckte einfach den Tisch. Es roch herrlich und warum auch nicht? Er spürte noch den billigen Sekt vom Nachmittag und konnte sich eine Strenge nicht richtig vorstellen.

Der Rotwein mundete zur Quiche. Andrea entpuppte sich als gute Gesellschafterin. Sie fragte nicht nach Gründen für sein Nichtfeiern. Stattdessen erzählte sie von Besuchen im Loiretal und der Zubereitung der Quiche. Nach der Creme caramel stellte sich die Frage, wie es weiter ginge.

"Was mache ich nun?" fragte Alfred und führte aus: "So kann ich nicht lesen. Für Bett ist es zu früh und fernsehen ist eigentlich doof." Trotzdem sank er in seinen Sessel und suchte nach der Fernbedienung.
"Tanzen!" rief Andrea.
Er schaltete das Fernsehen an und sie suchte in den CDs nach Musik zum Tanzen. Es kam Reklame und sie zog "Walzer von Johann Strauss" heraus.
"Du hast Tanzmusik. Komm, das machen wir jetzt"
"Ich kann nicht tanzen" sagte er, aber da hatte sie schon die CD eingelegt und stand vor ihm.
"Fernsehen ist doof und heute ist dein besonderer Tag. Ich zeig es Dir" sie nahm seine Hand und er musste einfach aufstehen.
"Es ist einfach ein-zwei-drei, eins-zwei-drei" wiegte sie sich vor ihm. "Du mit rechts, ich nach rechts, dann gedreht."
"Wir müssen uns doch."
"Ja, so geht, hier an der Hand, dort am Rücken und nun"
Er tanzte. Anscheinend tanzte er richtig, jedenfalls lachte ihn ein schmales Gesicht an, es gab Musik, die zu seinen Bewegungen zu passen schien. Das war zwar albern, aber fühlte sich gut an. Langsam trat der Alkohol in die Blutbahn über und das ganze entwickelte sich zu einer recht lustigen Angelegenheit. Ehe er sich versah war es 10 Uhr. Normalerweise würde er nun die Nachrichten sehen und dann ins Bett gehen.
"Es ist schon 10" sagte er.
"Zeit ins Bett zu gehen?" fragte sie.
"Ich muss morgen wieder raus. Ich muss schlafen" er versuchte zu gähnen. Sie hörten auf zu tanzen, er ging in das Badezimmer und sie machte die Musik aus. Im Badezimmer entleere er seine Blase und wunderte sich dabei, dass ihm das Tanzen leicht gefallen war. Strahlend putzte er sich die Zähne.

Sie lag in seinem Bett: "Betthupferl" sagte sie, als er in sein Zimmer trat.
"Nicht, was ..."
"Einmal im Jahr trinken, feiern und ficken. Was kann da verkehrt dran sein?" Sie schlug die Bettdecke zurück. Ich mache sie kaputt, wenn ich nicht aufpasse, dachte er sich, als er ihren nackten Körper betrachtete.
"Ich habe ein Badetuch untergelegt, da gibt es auch keinen Fleck im Laken" erklärte sie mit fragender Stimme.
Er konnte noch. Es war schnell, zügig und sie ging ihm nicht kaputt.
"Ist wie Fahrradfahren. Verlernt man nicht" sagte er vor dem Einschlafen.

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