Freitag, 6. November 2015

Alfred

Auf dem Weg zur Bushaltestelle musterte Alfred den Fußweg. An der ersten Ecke war wieder ein Haufen von dem kleinen Pinscher der alten Hexe. Diese wohnte im Eckhaus und hatte bestimmt schon über 80 Jahre auf den Buckel. Ihren Hund konnte sie gerade einmal um den Block führen. Sie konnte sich nicht mehr bücken, deswegen blieben diese Häuflein immer liegen. Nach der Biegung fand sich ein großer Haufen. Das war bestimmt der Dicke mit den Dalmatinern. Der sollte sich eigentlich bücken können! Er wollte sich nicht die Laune verderben lassen und deswegen dachte er sich lieber, wie gut es doch war auf den Boden zu blicken. Danach dachte er an die Leute die meinen es würde Glück bringen in einen Haufen zu treten, aber er gehörte definitiv nicht zu diesen! Die würden bestimmt auch Lose kaufen oder Lottoscheine ausfüllen. Bei dem Gedanken lächelte er. Er konnte gar nicht hineintreten. Und manchmal fand er sogar Münzen, die achtlose Zeitgenossen verloren hatten.


An der Bushaltestelle stellte er zufrieden fest, dass der Bus auf die Minute genau fuhr. Er begrüsste den Fahrer und nahm direkt hinter diesem Platz. Das war zwar auf den ersten Blick so ziemlich der unbequemste, engste Platz, aber dafür saß ihm niemand gegenüber. Während der kurzen Busfahrt schaute er sich seine Schuhe an.

Später in der U-Bahn holte er ein Buch hervor und las. Es war eines seiner alten Taschenbücher. Beim Blättern rochen diese immer nach dem alten Papier. In alte, vertraute Bücher las er immer wieder gern. Immer gab es Formulierungen, die er so nicht richtig gewürdigt hatte. Auch fielen ihm Details auf, die beim ersten Lesen untergegangen waren. Außerdem signalisierte er, dass er nicht angesprochen werden wollte.
"Und wie ist es?" hörte er auf einmal hinter sich. Er wusste, dass die Worte nicht für ihn bestimmt waren. In dieser Form würde ihn nie jemand ansprechen. Seine Gedanken verdüsterten sich, denn er wusste, was nun folgen würde.
"Muss ja".
Das war die typische Entgegnung. Danach kam das Geplapper der Pendler vom lange nicht gesehen. Er hoffte sie würden nicht klagen. Da wurde er enttäuscht. Nach ein paar Sätzen hörte er übliche Gejammere: "Dass die das nicht ändern. Wäre doch so einfach. Aber weisste, jeder denkt .."
An dieser Stelle musste er mitdenken. Es war eine Art Krankheit, die ihm gar nicht gefiel. Was ging es ihn an, dass andere nicht mit ihrem Leben zufrieden waren. Aber diese Unzufriedenheit fiel nun über ihn selbst her. So dass, ohne dass er etwas dagegen machen konnte, ihm einfiel, wie der Prozess im Büro geändert werden könnte. Sie wären dann viel, viel schneller in der Bearbeitung der Vorgänge. Wenn er das doch ändern könnte.
Zum Glück wusste er was zu tun war. Er holte tief durch die Nase Luft und atmete kontrolliert aus. Das machte er drei- oder viermal. Dann zwang er sich über die Ordnung der Welt nach zu denken. Es war ja so, wie es eben war. Und ihm gehört das Geld, das dort verschwendet wurde, gar nicht. Dafür war er nicht verantwortlich. Sein Büro war ja ganz in Ordnung, so wie es eben ist. Mit genau den Vorgängen, wie sie schon immer liefen. Zu gewinnen hätte er absolut nichts. Was würde aus seinem Chef, wenn es einfacher und schneller wäre. Alle im Büro wollten nur ihre gewohnte Arbeit so machen, wie sie es immer machten. Wenn sie nur nicht immer darüber klagen würden. Anscheinend lag das in der Natur seiner Mitmenschen. Er musste bei diesem Gedanken lächeln. Wie sich das steigert. Über das Klagen der anderen klagen. Wieder atmete er ein und aus. Endlich konnte er die U-Bahn verlassen.

Mit der Masse ging er zu den Rolltreppen nach oben. Den Blick hielt er nach unten, damit er nicht abgelenkt würde von dem Rhythmus der Dinge. Wie geordnet die Welt auf einem Bahnsteig doch war. Es wurden Zugverbindungen angesagt und angezeigt. So konnten die Blinden hören und die Tauben lesen. An alle war gedacht! Auch wenn es Verspätungen gab, wurden diese rechtzeitig mitgeteilt. In dieser Welt gab es keine Überraschungen. Eben diese Sicherheit und Ordnung wollte er genießen.

Auf dem restlichen Fußweg zu seinem Arbeitsplatz konzentrierte er sich auf die Dinge, die ordentlich waren. Wie schön doch an den Ampeln die Zeichen für die Straßenbahn waren. Kleine weiße Lichter, die nur der Fahrer der Straßenbahnen zu deuten wusste. Wenn diese farbig wären, würden die Autofahrer durcheinander kommen. Auch daran wurde gedacht! Seine Stimmung besserte sich.

Im Bürogebäude grüsste er die Pforte. Einem Blickkontakt mit der Pförtnerin entging er. Dort saß einmal eine blonde Frau mit türkischen Namen. In ihre Augen hatte er einmal geblickt. Aus ihrem runden Gesicht lächelte es. Er musste in ihre breiten Lippen zurücklächeln. Aber dieser Moment verwirrte ihn und er wusste nicht, was er machen sollte. So gewöhnte er sich an, eben nicht so genau in Pforte zu schauen.

Die Treppe vermied er. Wer weiß, wen er dort treffen würde. Besser war es den Aufzug zu nehmen. Hier konnte er mit starrem Blick die Anzeige beobachten. Jedes Stockwerk wurde in Ruhe durchgezählt. Im siebten Stockwerk stieg er aus und ging den Gang hinunter in sein Büro.

Erst fielen ihm die Beine mit den Pumps auf, dann der enge Bürorock. Es kam ihm eine Frau in seiner Größe entgegen. Er wollte wieder auf den Boden schauen, aber es war zu spät. Ihre runden Hüften und ihre üppige Oberweite nahmen ihn in den Bann. Ihre Bluse gab einen eher tiefen Einblick. Seine Schritte verlangsamten sich. Das bleiche, runde Gesicht mit dem roten Mund lächelte ihn nicht an, obwohl sich ein Lächeln auf sein Gesicht breit gemacht hatte. Er blickte auf den Anhänger zwischen ihren Brüste, als sie vorbei ging. Hinter ihr her blickend, bewunderte er ihren runden, wohlproportionierten Arsch. Dann atmete er aus. Er stampfte leise mit dem rechten Fuß auf. Wie konnte ihn das immer noch aus der Bahn werfen!

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